Mai/Juni 2016 – Straßen-Raub und Synagogen-Staub

2. Mai 2016: So verärgert man die Nachbarn: Zuerst fängt bereits  um 06:30 Uhr der Bagger mit viel Getöse an zu arbeiten. Dann kann jeder Anwohner sehen, dass nach knapp 13 Jahren heimlich die Helga-Hahnemann-Straße verschwunden ist.

 

Links: Noch steht das Schild mit dem Namen der Entertainerin. Rechts: Blank reckt sich am Montag der Pfahl in den Morgenhimmel.
Links: Ende April steht noch das Schild mit dem Namen der DDR-Entertainerin. Rechts: Blank reckt sich am Montag der Pfahl in den blauen Morgenhimmel.

3. Mai 2016: Die Abschottung beginnt. Die Baustelle des Tacheles-Areal wird Stück für Stück von einem undurchsichtigen Bauzaun umgeben. Positiver Nebeneffekt: Mit den Bretterzäunen kann man gut Werbeeinnahmen generieren. Wir sind gespannt, wann die ersten Graffities auftauchen.

Bald wird es wieder bunter: Plakate werden demnächst von der Baugrube ablenken.
Viel Sand, aber bald wird es wieder bunter: Plakate können demnächst schön von der Baugrube ablenken.

4. Mai 2016: Kurz vor Himmelfahrt kommen die „weißen Menschen“. Auf dem Areal sind die Bauleute auf irgendwelche Überreste gestoßen, die von einem Mitarbeiter der Fachfirma Archaeofakt im Schutzanzug auf geschichtlichen Mehrwert geprüft werden. Hausrat oder alte Münzen könnten in der Erde liegen, eventuelle Funde werden ins archäologische Magazin des Landesdenkmalamtes gebracht.

Die Reste sehen aus wie ein Kunstobjekt. Aber nur temporär: Nach wenigen Minuten wird der Schrott abgeholt
Die Reste sehen aus wie ein kleines Kunstobjekt. Aber nur temporär: Nach wenigen Minuten schon wird der Schrott, der auf einer weißen Plane sortiert wird, weggeworfen.

9. Mai 2016: Langsam knirscht es im Untergrund. Immer mehr alte Kellerüberreste kommen am Rande der archäologischen Grabungen zum Vorschein. Die bange Frage für den Bauherren pwr: Ist das Kulturgut oder kann das weg? Denn größere Funde könnten den Zeitplan kippen. Zum Schluss wird es zumindest ein archäologisches Gutachtenfür 50.000 Euro geben.

Einige Häuser in der Gegend hatten zum Ende des Krieges Luftschutzkeller. Was ist das hier?
Insgesamt 15 archäologische Grabungen wird es geben, jede bis zu drei Meter tief. Großflächig wird hier Schicht um Schicht abgetragen. Dass es die Grabungen überhaupt gibt, ist dem Historiker Eberhard Eifert zu verdanken.

11. Mai 2016: Nicht nur die Sandhaufen auf dem Tacheles-Areal wachsen in die Höhe. Auch der kleine Schuttberg mit den Betonresten wird größer. Denn jetzt geht es der letzten versiegelten Fläche an den Kragen.

Hier stand mal die alte Kunsthalle. Von ihr zeugt nur noch der Haufen Ziegelsteine im Hintergrund.
Hier stand mal die alte Kunsthalle. Von ihr zeugt nur noch der Haufen Ziegelsteine im Hintergrund.

12. Mai 2016: Das blaue Tor, in dem oben einst das Schild „Mittelerde“ groß prangte, ist gefallen. Rund ein Jahrzehnt stand das Tor mit einem kleinem P-Schild am Parkplatz, aber keiner konnte es durchfahren. Denn der Eingang lag am anderen Ende der Johannisstraße.

1998 sollte die Freifläche neben dem Tacheles "Mittelerde" werden und das 1.800-Plätze-Zirkuszelt aufnehmen. Dort war das Musical "Der Herr der Ringe" geplant. Eine Aufführung fand nie statt.
1998 sollte die Freifläche neben dem Tacheles „Mittelerde“ werden und das 1.800-Plätze-Zirkuszelt aufnehmen. Aber das Musical „Der Herr der Ringe“ wurde aus Lärmschutzgründen hier nie aufgeführt.

14. Mai 2015: Pfingstwochenende – und für ein paar Tage kehrt Ruhe ein. In ein paar Tagen sollen die richtigen Tiefbauarbeiten beginnen. Dann entsteht hier eine Baugrube, die mehrere Fußballfelder groß sein wird.

Die archäologischen Arbeiten nähern sich dem Ende. Wenn es nach der Höhe der Sandberge geht, dann ist etwa die Hälfte der Fläche umgegraben worden.
Die archäologischen Arbeiten nähern sich dem Ende. Wenn es nach der Höhe der Sandberge geht, dann ist etwa die Hälfte der Fläche umgegraben worden.

17. Mai 2016: Irgendetwas steckt im Boden. Was da zum Vorschein kommt, ist weit mehr als nur ein normales Fundament. Dicke, breite Betonstreifen verlaufen knapp unter der Oberfläche.

Der Beton sieht frisch aus, ist aber schon Jahrzehnte im Boden. Nur reine Kabelschächte??
Der Beton sieht relativ frisch aus, ist aber schon Jahrzehnte im Boden. Sind das nur reine Kabelschächte??

19. Mai 2016: Nach Mitternacht wird es auf einmal lebendig auf dem Tacheles-Areal. Im Schutz der Dunkelheit wird ein Doosan-Spezialbagger herangeschafft. Um 01:10 Uhr schweigen die Motoren.

Überraschung: Erstmals wird auch nachts gearbeitet. Nur warum?
Überraschung: Erstmals wird auch nachts gearbeitet. Nur warum?

21. Mai 2016: Jetzt haben die Probegrabung die unmittelbaren Nachbarn erreicht. Nicht nur kleine, mannsgroße Löcher werden direkt an der Grundstücksgrenze zur Johannisstr. 12 gebuddelt. Und mit denen gibt es noch nicht einmal einen Nachbarschaftsvertrag.

In den unteren Erdschichten sind Ziegel zu finden, die auf eine frühere Besiedlung hindeuten.
In den unteren Erdschichten sind quer geschichtete Ziegel zu sehen, die auf eine frühere Besiedlung am Berliner Stadtrand hindeuten.

25. Mai 2016: Kleine Erdbeben erschüttern nach wie vor die Nachbarhäuser – aber die riesigen Betonstreifen im Boden werden immer weniger. Und damit wächst die Hoffnung auf etwas mehr Ruhe. Derweil kommt Bewegung in die Sandberge, die sich in den vergangenen Wochen immer höher türmten und jetzt abgeholt werden.

Mit mehreren Lastern geht es den Sandbergen zu Leibe, um endlich mit der Baugrube beginne zu können.
Mit mehreren Lastern geht es den Sandbergen zu Leibe, um endlich mit der Baugrube beginne zu können.

27. Mai 2016: In den mannstiefen Gruben kommt langsam die alte Bebauung auf dem einstigen Tacheles-Gelände zum Vorschein.  Archäologen prüfen nun, inwieweit diese Mauerreste einen historischen Wert haben.

Ein paar Tage noch ist das Fundament zu sehen. Dann muss auch dies dem neuen Tacheles-Areal weichen.
Ein paar Tage noch ist das Fundament zu sehen. Dann wird auch dies dem neuen Tacheles-Areal weichen müssen.

30. Mai 2016: Was im Baugrund zum Vorschein kommt, sind wirklich die Überreste der Alten Synagoge, die einst hier stand. Die vom Architekten Gustav Stier entworfene Synagoge war über 80 Jahre Gotteshaus der Reformgemeinde, bis die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße stand.

Geprüft die Bergung eines architekturabbildenden Baurestes, der später an den Standort der Synagoge zurückgeführt und mit einer Infotafel versehen werden kann.
Die Dokumentation ist angelaufen. Geprüft wird auch die Bergung eines architekturabbildenden Baurestes, der später an den Standort der Synagoge zurückgeführt und mit einer Infotafel versehen werden kann.

3. Juni 2016: Immer weiter frisst sich der Bagger an die Nachbargrundstücke heran. Da es in der Mitte des Tacheles-Areals wegen des Synagogenfundes vorerst nicht weitergeht, werden zunächst die „Ränder“ bis auf drei Meter Tiefe ausgebaggert. Das ist aber erst ein Drittel dessen, was künftig einmal die Baugrube ausmachen soll.

Die Furcht der Nachbarn: Dass die alte, fast 20 Meter hohe Kastanie durch den Bau an den Wurzeln beschädigt wird.
Die Furcht der Nachbarn ist groß, dass die alte, fast 20 Meter hohe Kastanie durch den Bau an den Wurzeln beschädigt wird.

5. Juni 2016: Die Tafel zur Erinnerung an die Alte Synagoge hängt wieder – diesmal am Bauzaun in der Johannisstrasse. 1854 wurde das Bauwerk als Synagoge der Jüdischen Reformgemeinde eingeweiht.

Kurze Geschichte: In der Reichspogromnacht 1938 zerstört, teilweise wieder instandgesetzt, im Krieg zerbombt und danach Abtragung der Ruinenreste.
Kurze Geschichte: In der Reichspogromnacht 1938 zerstört, 1941 teilweise wieder instandgesetzt, am Kriegsende zerbombt und danach Abtragung der Ruinenreste.

8. Juni 2016: Noch steht das Gebäude des Tacheles, wenn auch seit drei Jahren als ungenutzte Ruine nur. Nach Abschluss der Bauarbeiten soll hier wieder kulturelles Leben einziehen. Aber die alternative Kulturszene dürfte längst eine andere Heimat gefunden haben.

Eine wehmütige Erinnerung an den letzten Film, der im Tacheles Kino lief....
Eine wehmütige Erinnerung an den letzten Film, der im Tacheles Kino High End 54 lief….

12. Juni 2016: Nach tagelanger Vermessung kehrt in der Ruine der Alten Synagoge Ruhe ein. Zuletzt wurden schrittweise die unterirdischen Rohrleitungen beseitigt, die noch aus DDR-Zeiten stammen. Sie werden schon seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt und sind heute nur noch Schrott.

Vermessen und zu leicht befunden: Historische Überreste sind nicht zum Vorschein gekommen.
Vermessen und zu leicht befunden: Historische Überreste sind nicht gefunden worden.

14, Juni 2016: Stück für Stück werden die Überreste des alten Synagogen-Fundamentes beseitigt. Denn demnächst soll es ja mit dem Tiefbau losgehen. Parallel dazu findet im Wohnhaus nebenan die sogenannte Beweissicherung durch skp-Ingenieure www.bauwerkplan.com statt. Und zugleich werden wichtige Vermessungspunkte gesetzt, um später Senkungen feststellen zu können.

Rund 8 Meter lang sind die Stahlträger, die für die künftige Baugrube bestimmt sind. Diese soll ja auch bis zu neun Meter tief werden.
Gut 10 Meter lang sind die Stahlträger im Hintergrund, die für die künftige Baugrube bestimmt sind. Diese soll ja auch bis zu 9 Meter tief werden.

16. Juni 2016: Immer wieder kommt irgendwas zum Vorschein, je tiefer es geht: In gut drei Meter Tiefe wird ein neuer Mauerrest gefunden. Tags darauf ist dieser Rest schon wieder Geschichte – schnell beseitigt! Denn gerade erst hatten die Bauarbeiter den Überrest der Alten Synagoge wegschaffen können, der wochenlang für Verzögerungen sorgte.

Ein rotes Tonnengewölbe im Sand. Wir sind gespannt auf diese Geschichte!
Ein rotes Tonnengewölbe im Sand. Frage: Ist dieses Stück möglicherweise ein Teil der alten Bebauung nahe der Stadtmauer, die ja nur ein paar dutzend Meter entfernt stand?

21. Juni 2016: Jetzt geht’s los. Am Morgen kommt der große gelbe Bohrer auf das Baufeld gerollt, am Abend wird Deutschland Gruppensieger der Fußball-WM. Zwischendurch wird der Bohrer und sein kleiner grüner „Bruder“ am Tacheles-Rand aufgebaut. In den kommenden Monaten soll er Dutzende metertiefe Löcher bohren, um die Begrenzung der Baugrube sichern zu können.

Das ganze Untergeschoss soll neun Meter tief werden. Dazu, so sagen die Bauleute, müssen einige Pfähle sogar bis zu 27 Meter tief in den Boden kommen.
Das ganze Untergeschoss soll neun Meter tief werden. Dazu, so sagen die Bauleute, müssen einige Pfähle sogar bis zu 27 Meter tief in den Boden kommen. Aber erst einmal muss der Grubenrand gestützt werden.

29. Juni 2016:  Die sogenannten Gründungsarbeiten kommen gut voran. Mittlerweile sind Dutzende tiefe Löcher dicht an dicht gebohrt, in denen die Stahlträger versenkt werden. Nur wenige Meter entfernt ist derweil in gut 5 Meter Tiefe ein kleiner See entstanden. Also heißt es: Aufpassen! Grundwasser!

Ein kleiner Einblick in die Bautätigkeit, die jeden Morgen zwischen 6:45 Uhr und 06:50 Uhr beginnt. Jedoch kommen die Erschütterungen vor allem von dem großen Presslufthammer, der die Betonteile zerlegt.
Ein kleiner Einblick in die Bautätigkeit, die jeden Morgen zwischen 6:45 Uhr und 06:50 Uhr beginnt. Die Erschütterungen kommen vor allem von dem großen Presslufthammer, der weiter entfernt die Betonteile zerlegt.